Wir geben den Ring frei für zwei Gladiatoren der Ästhetik. Winkelmann begründete seiner Zeit eine klassizistische Antikenrezeption, die neu war, und wurde damit bekannt. Heinse erreichte seinen Durchbruch hauptsächlich, weil er genau Diesem widersprach.
Raphael entsandte Schüler, um es zu tun, Goethe hatte das Konzept verinnerlicht und beschritt so seine italienische Reise, Lessing widmete dem Laokoon eine ganze Abhandlung und die alten Griechen taten es sowieso: Es geht um das minutiöse Beobachten wohlgeformter griechischer Körper im Original und in der Darstellung – alles im Sinne der Kunst natürlich.
FKK, edle Einfalt und stille Größe
Johann Joachim Winckelmann – Archäologe, Antiquar und Kunstschriftsteller erhob 1755 die Werke der griechischen Antike zum non plus Ultra des künstlerischen Schaffens, sie überzeugten ihn in ihrer schnörkellosen „edlen Einfalt und stillen Größe“.
Wie die Topfpflanze, die unter den richten Bedingungen grünt und gedeiht, beschreibt Winckelmann die Umstände, die seiner Meinung nach dazu führten, dass antike Darstellungen zum Olymp der Kunst wurden und spart dabei nicht mit nackten Tatsachen. Das gute Wetter, die Freikörperkultur und das intensive Training machten es den Künstlern leicht, Motive zu finden, die ein Ideal widerspiegeln, welches laut Winckelmann epochenübergreifende Gültigkeit besitzt – der Mensch von seiner Schokoladenseite.
So empfiehlt er eine Nachahmung dieser Idealbilder. Der gut gemeinte Rat birgt jedoch einen Widerspruch: Einzigartige Bedingungen und dadurch einmalige Kunst einerseits und Nachahmung dieser Vollkommenheit andererseits, ohne aber dieselben Bedingungen zu besitzen.
Alles eine Frage des Blickwinkels
„Alle Kunst ist menschlich, nicht griechisch“ – das sind Wilhelm Heinses Worte und sie zeigen, dass er ein überzeitliches Ideal anzweifelte. Das bedeutet nicht, dass er den gut gebauten Griechen nichts abgewinnen konnte. Anders als sein Vorredner nimmt er die starke Menschlichkeit in ihren Darstellungen wahr, aber verzichtet darauf, sie zu den Strebern der Vollkommenheit zu stilisieren.
Heinse beweist in seinen Aufzeichnungen immer wieder, dass er kein Kind von Traurigkeit war. Derbe sexuelle Beschreibungen begutachteter Kunstwerke sind keine Ausnahme. Eines wird dadurch jedoch besonders deutlich: Eine Hinwendung zur Sinnlichkeit, welche die Kunst weitaus subjektiver macht. Zusammengefasst: Das Schöne wird mehr empfunden als gelehrt und entsteht nicht, indem man einem Ideal nacheifert.
Endstand
Eine polarisierende Feindschaft in Ehren, hatten beide letztendlich doch mehr Gemeinsamkeiten als es zunächst den Anschein macht: Sie bewunderten das Talent der Griechen, die Form des menschlichen Körpers sahen sie lieber unbedeckt und sie erachteten dieselben Werke als bemerkenswert. Die Auseinandersetzungen waren der Motor ihrer Romreisen und mit geschärftem Blick auf die unbedeckten Griechen bereicherten sie die Kunsttheorie ihrer Zeit und der folgenden Epochen.

Wir blicken auf Rom…
…als Ort der künstlerischen Auseinandersetzungen, der Bauten für die Ewigkeit, der lukullischen Köstlichkeiten und des dolce far niente.